Das Gute loslassen, um das Beste zu finden
zwei Quizfragen für dich:
Quizfrage 1: Jeder hat schon einmal ein Rothirschgeweih gesehen. Was ist richtig?
A)Die Geweihstangen sind aus Horn, innen hohl und wiegen bis zu einem Kilo.
B) Es handelt sich um Knochen, ähnlich aufgebaut wie menschliche Zähne, und sie wiegen oft über fünf Kilo.
Die richtige Antwort ist B. Geweihe bestehen aus hartem, schwerem Knochen.
Quizfrage 2: Wie lange braucht ein Hirsch, um ein Geweih aufzubauen?
A) 3 Monate B) 3 Jahre C) Lebenslang
Lebenslang ist falsch, ebenso drei Jahre. Die unglaubliche Antwort ist A: Ein Hirsch benötigt etwa 100 Tage, um diese massive Knochenstruktur zu bilden – bei großen Exemplaren können diese bis zu 10 Kilogramm wiegen, in Ausnahmefällen sogar 15 Kilogramm. In der Zucht sind Geweihe mit bis zu 20 Kilogramm bekannt. Das Geweih wird jedes Jahr vollständig erneuert, wobei der Hirsch das alte Geweih abwirft, um Platz für das neue zu schaffen.
Was wir bei dem Rehbock auf dem Foto zwischen den Ohren sehen, ist keine Missbildung, sondern ein Geweih in der Wachstumsphase. Bis zum Sommer entwickelt es seine klassische Form mit den charakteristischen drei Enden, die für Revierkämpfe genutzt werden. Im Januar wächst das Geweih noch täglich, und die mit Bast bedeckten Stangen verlängern sich um etwa 1 cm pro Tag.
Der Bast ist eine mit Haaren bedeckte, gut durchblutete Hautschicht, die das Knochenwachstum von innen antreibt. Selbst bei fertigen Geweihen sind die Spuren dieser Blutbahnen noch sichtbar: die typischen Längsrillen.
Im gesamten Tierreich sind nur Hirschartige in der Lage, ein Körperteil – ihr Geweih – abzuwerfen und vollständig neu, sogar verbessert, aufzubauen. Und das noch jährlich! Beim Rehbock sind das etwa 400 Gramm Knochen, bei Rothirschen hingegen unglaubliche 10 bis 20 Kilogramm. Dieses Phänomen ist ein biologisches Wunder, das auch die Medizin fasziniert: Wissenschaftler hoffen, die Mechanismen des Geweihwachstums für den Menschen nutzbar zu machen.
Wenn das Geweih des Rehbocks fertig ist, wird er die abgestorbene Haut (den Bast) an Bäumen und Zweigen abreiben. Dabei verletzt er oft Rinde und färbt das Geweih mit Baumsaft braun. Ich hoffe, dass unsere frisch gepflanzten Obstbäume dieses Jahr verschont bleiben!
Der Rehbock und der Hirsch müssen das Alte aktiv abstoßen, abwerfen, damit das Neue kommen kann. Denn der ausgewachsene Knochen kann nicht besser werden. Nur ein völliger Neuanfang kann Verbesserung bringen. Nachdem das Geweih abgeworfen ist, hat der Hirsch erst mal nichts mehr. Er steht, im übertragenen Sinne, mit „leeren Händen“ da.
Kahler Kopf über Monate hinweg, statt gut und fertig gibt es Mühe und das Risiko des Neuaufbaus. Dabei war das Alte oft wirklich prächtig, vorzeigbar, siegeserprobt. Meistens sehen wir die Frucht, die durch einen Neuanfang entstehen wird, beim Wegwerfen des Alten noch nicht – auch ein Hirsch hat nicht sofort ein schönes und größeres Geweih. Doch der Verlustschmerz, der ist sofort da und oft kaum auszuhalten.
Verlustangst ist eine der größten Antriebskräfte des Menschen. So geben wir unser Gutes sehr selten freiwillig her, manchmal werden uns die Sachen einfach genommen. Am meisten halten wir an Bewährtem fest. Never change a runningsystem? Etwas, was gut funktioniert nicht verändern – ist das wirklich weise?
Der Rehbock und der Hirsch werfen das Gute Jahr für Jahr weg. Auch ich musste schon Dinge abwerfen: Zwei Mal habe ich hohe Posten verlassen, ohne eine neue Perspektive zu haben – nur weil es an der Zeit war, nur weil es richtig war, zu gehen. Es war hart. Nicht nur meine gefühlte Wichtigkeit, sondern auch fast mein gesamtes soziales Umfeld waren mit einem Schlag weg. Dieses Abwerfen ohne einen neuen Job führte zu Phasen der Unklarheit und Unsicherheit. Doch schließlich brachte es sprunghaftes Wachstum und wunderbare neue Aufgaben und Erfahrungen.
Aber es gibt weit bessere Beispiele: Netflix begann 1997 als ein Versanddienst für DVDs per Post. Damals konkurrierten sie vor allem mit klassischen Videotheken. Doch schon früh erkannten die Gründer Reed Hastings und Marc Randolph die Zukunft des digitalen Zeitalters und wagten den radikalen Neuanfang.
Im Jahr 2007 startete Netflix seinen Streaming-Service, als DVDs noch über 90 % des Umsatzes ausmachten und hat den weiterhin profitablen Versand von DVDs im Jahre 2011 nahezu komplett eingestellt. Die Streaming-Strategie war ein riskanter Schritt, der zunächst mit einem Börsenkursverlust von 75 % endete, da Investoren skeptisch waren.
Aber das Abwerfen sicherte nicht nur das Überleben des Unternehmens sondern brachte Wachstum und Verbesserung: Von 2011 bis 2023 wuchs die Zahl der Abonnenten weltweit von 23 Millionen auf über 247 Millionen. Der Umsatz stieg von 3,2 Milliarden USD auf über 35 Milliarden USD – ein Wachstum von mehr als 10-fach.
Die Hirschartigen sagen uns: „Werft ab.“ Wage den Neuanfang. Der Mut, Altes loszulassen und in Innovation zu investieren, hat Netflix nicht nur gerettet, sondern zu einem globalen Marktführer gemacht. Also lasst uns das Gute abgeben, wenn es richtig und dran ist, und auf unsere Stärken und Bestimmungen vertrauen. Dann auch ruhig bleiben und uns sagen, wenn wir Verlustschmerz spüren: Das Beste kommt noch. Oft ist das Gute, an dem wir uns festklammern, der größte Feind vom Besten, von dem, was kommen wird.
Warum das Gute der größte Feind des Besseren ist, zeigt für mich kein Beispiel eindrucksvoller als Henry Ford. Als er das Model T entwickelte, war er von dessen Qualität und Innovation so überzeugt, dass er jegliche Modifikationen oder Weiterentwicklungen strikt ablehnte. Nicht einmal andere Farben als Schwarz ließ er zu, da er glaubte, ein nahezu perfektes Produkt geschaffen zu haben. Doch während Ford an seinem Erfolg festhielt, entwickelte die Konkurrenz weiter. Sie brachte nicht nur technisch verbesserte Fahrzeuge, sondern auch bunte und optisch ansprechendere Modelle auf den Markt. Das Ergebnis: Ford verlor die Hälfte seiner Marktanteile und geriet an den Rand der Existenz.
Die Lehre daraus? Gutes mag gut und bequem sein, doch nur der Mut zur Veränderung sichert langfristigen Erfolg. Wirf das Gute ab, bevor es dich behindert.
Oft investieren wir nicht genug Zeit und Ressourcen, um herauszufinden, wer wir wirklich sind und was wir wirklich wollen. Wir gehen den Weg, den uns das Leben vorschlägt, ohne innezuhalten und zu reflektieren.
Nicht jeder hat die gleichen Chancen, doch jeder hat Chancen. Jeder hat Talente. Unsere Aufgabe ist es, eine Tätigkeit zu finden, die zu unseren Begabungen passt. Ich habe Menschen erlebt, die sich an unpassenden Aufgaben festklammerten – mit gigantischem Schaden, nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für sie selbst.
Falls dein Job dich nicht erfüllt, könnte es sein, dass er nicht der richtige für dich ist? Wäre es nicht an der Zeit, etwas zu ändern? Prüfe es. Sei mutig. Auch du hast Talente, die darauf warten, in der richtigen Aufgabe mit Freude entfaltet zu werden.
Im Wald hat jedes Wesen – jedes Tier, jeder Pilz, jeder Baum – seine eigene, unverwechselbare Mission. Die Buche bleibt eine Buche und beneidet nicht die Esche, die mit nassem Boden besser zurechtkommt. Ein Kernbeißer strebt nicht nach der Höhe des Adlers, weil sie für ihn der sichere Tod wäre.
Lass Altes los, finde deine wahre Identität Wie oft vergöttern wir Größe und Erfolg? Doch ein Blick in den Wald zeigt uns: Keine Kreatur ist besser oder schlechter – sie sind einfach nur anders. Traue dich, das Alte zu hinterfragen und abzuwerfen. Finde deine wahre Identität. Lebe sie.
Lass dich nicht vom Guten aufhalten – du bist zu Besten berufen.